von Johann Poschinger, März 2017
Einleitung
In der Kriminologie gibt es nicht viele Experten, jeder von ihnen aber hat einen oder mehrere Schwerpunkte oder Spezialgebiete. Und die Kriminologie bietet tatsächlich (fast) jedem etwas. Oft nennen sich Juristen oder Kriminalisten Kriminologen; einen rechtlichen Schutz zum Führen dieser Bezeichnung (mit Ausbildungs- und / oder Qualitätsstandards) gibt es weder in Österreich noch in Deutschland. Ein/e echte/r Kriminologe/in hatKriminologie studiert (im deutschsprachigen Raum z.B. an der UNI Hamburg (den Masterstudiengang Internationale Kriminologie oder denWeiterbildenden Masterstudiengang Kriminologie)).
Der Historiker unter den Kriminologen zählt akribisch die raumzeitliche Entwicklung der Kriminologie auf, einer Kriminologie, die im Mittelalter von Theologen und / oder Philosophen getragen war und ihren Namen erst später erhielt. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang Thomas vonAquin [1], der schon im 13. Jh. eine Einheit zw. Verbrecher und Sünder sah. Später geht es weiter beim Franzosen Paul Topinard [2], den Italienern Cesare Lombroso [3] und Rafaele Garofalo [4]. Dann kommt man zum Österreicher Dr. Hans Gross [5] (der oft als Kriminologe genannt wird, aber eigentlich der Begründer der modernen Kriminalistik war). Weiter geht es mit David Emile Durkheim [6], als der Vater der Soziologie (und eventuell der sog. Kriminalsoziologie). Unbedingt erwähnt werden müssen auch Karl Marx, Friedrich Nietzsche, später dann Robert K. Merton, Talcott Parsons, Albert Kircidel Cohen, Edwin Hardin Sutherland [7], Clifford Robert Shaw [8], Niklas Luhmann, Paul-Michel Foucault, Lois Waccant, Howard Saul Becker, Fritz Sack, Sebastian Scheerer, Helge Peters, Henner Hess, Heinrich Popitz, Nils Christie, Daniela Klimke, Aldo Legarno usw. [9]. Zu und von all diesen Persönlichkeiten gibt es am Markt unzählige Literatur und originäres oder übernommenes und weiterentwickeltes kriminologisches / (kriminal-)soziologisches Material. Der interessierte Leser wird es leicht finden.
Sie alle trugen oder tragen dazu bei, dass (die unterschiedlichsten Schwerpunkte [10] der) Kriminologie existieren, erforscht und beschrieben werden, und dass unser Bild von der Kriminologie (mit ihren Alternativ-, Substitutions- und / oder Komplementaritäts-Wissenschaften wie z.B. der Kriminalistik, Forensik, Biologie, Chemie, Physik, Medizin, Mikro- und Makropolitik usw.) sich stetig verbessert, vertieft und erweitert.
Ein anderer Fokus wäre die Schwerpunktlegung auf: die Tat, den Täter, die Tätergruppe, das Opfer, die Gesellschaft, die Normgenese, den / die Polizisten/in, die Strafverfolgung, die Strafvollstreckung, den Strafvollzug usw.. Wieder ein anderer Fokus wäre die Kriminalität im Altersverlauf [11]oder geschlechtsspezifische Kriminalität.
Wie man sieht, gibt es viele Möglichkeiten, sich der Kriminologie hinzugeben und seine persönliche Leidenschaft kriminologisch-fokussiert zu leben. Hier gibt es etwas Neues: hier wird der Versuch gestartet, das Exekutivorgan (den / die Polizisten/in) in den kriminologischen Fokus zu stellen und alle Facetten des polizeilichen Seins (als Exekutivorgan und als Individuum, also nicht als Polizei-Behörde – aber doch als Angehörigen und Mitarbeiter dieser) aufzuzeigen. Ein weiterer Schwerpunkt wäre die (delinquente – also kriminologisch und kriminalistisch bedeutende) Mikropolitik in der (Polizei-)Behörde (realisiert allerdings von individuellen Personen) zu thematisieren.
Was ist eigentlich Kriminologie? Der interessierte Leser wird schnell merken, es gibt sie nicht – die eine alles umfassende Definition.
Eine Definition besteht aus zwei Teilen: Definition = Definiendum und Definiens.
Das Definiendum ist der Gegenstand, welcher definiert (abgegrenzt von anderen Gegenständen) wird. Das Definiens ist der Teil der Definition, in welchem alle Eigenschaften aufscheinen, die dieses Definiendum ausmachen.
Es ist also eine Relation mit zwei Gliedern, die einander aber entsprechen müssen [12]. Z.B.: ein Verbrecher (Definiendum) ist (und hier beginnt das Definiens) ein Mensch, welcher eine kriminelle Tat begangen hat, von der Strafverfolgungsbehörde angeklagt und von einem Gericht rechtskräftig bestraft wurde. Hier beginnt eine weitere Mehrfachrelation zwischen Täter – Opfer – Kriminalisten – Staatsanwalt – Richter, aber auch zw. Täter – Opfer – soziale Gemeinschaft, aber auch zw. formellen Recht – materiellem Recht, aber auch zw. Strafverfolgung-, Strafvollstreckung- und Strafvollzugsbehörde – Reintegration in die Gemeinschaft, usw.).
Man könnte daher grob sagen:
Kriminologie ist die Lehre über Verbrecher, über Verbrechen und über Konsequenzen aus dieser Konstellation.
Nur kommt man auch hier wieder in Argumentationsnot, denn was unterscheidet eine (erlaubte) Tat, von einer kriminellen Tat – was ist eigentlich ein Verbrechen (ein Mensch, der einen grausamen tyrannischen Herrscher erschlägt, ist ein Held, ein Mensch, der einen liebevollen gütigen Herrscher erschlägt, ist ein Verbrecher! Wieviele Menschen wird es geben, die den Herrscher als grausamen Tyrannen und wieviele Menschen wird es geben, die den Herrscher als liebevoll und gütig, bezeichnen werden). Man sieht, man muss diese Tat interpretieren und einen Standpunkt einnehmen. Hier gibt es schon wieder ein Problem: welcher Standpunkt ist der richtige, und wer darf interpretieren und daraus verbindliche Konsequenzen ableiten? Und wie hoch darf eine eventuell angemessene Strafe sein? Und wo ist diese Strafe zu verbüßen, und wie lange sollte sie dauern? Und überall, wo es eine Regelung gibt, gibt es Ausnahmen …. .
Wie man sieht, bewegt man sich mit der Kriminologie in vielen Bereichen (die schon existieren und auf ihrem Gebiet teilweise auch schon empirische Erkenntnisse gewonnen, Theorien aufgestellt und alles wissenschaftlich bearbeitet haben).
Die wichtigsten Gebiete wären: Juristerei, Kriminalistik, Makropolitik, Mikropolitik, Biologie, Medizin, Soziologie, Psychologie, Psychiatrie, Forensik, Sicherheitspolitik, Kriminalpolitik, Arbeits-, Jugend-, Familien-, Wohnbau-, Fremden-, Asyl-, Kinder-, Schul- und Beschäftigungspolitik, Viktimologie,Pönologie, Punitivität, alle Bereiche des Personal-, Organisations-, Zeit-, Qualitäts-, Security-, Safety-, Budget- und Ressourcen-Managements. Und in all diesen Bereichen gibt es weitere Parameter: Legalität, Legitimität, Extralegalität, Illegalität, Legitimation, Ethik/Moral, Ästhetik, Kompetenz, Performanz, Loyalität, Solidarität, Resilienz, Suszeptibilität, Salienz, Responsibilität, Responsivität usw..
Hier eine Definition (von der UNI Hamburg – Kriminologie / Krimpedia):
Als Kriminologie bezeichnet man ein interdisziplinäres Forschungsgebiet aus Soziologie, Philosophie, Pädagogik, Psychologie, Ethnologie und Rechtswissenschaften (hier insbesondere der Strafrechtswissenschaft). Gemeinsam ist … ein Erkenntnisinteresse … auf Ursachen, Formen und Möglichkeiten der Prävention von kriminellen Handlungen … und sie fragt dabei in aller Regel nach zweierlei: erstens den Ursachen und zweitens den Möglichkeiten ihrer Beeinflussung. So wird auch das Anzeigeverhalten der Bevölkerung, die Tätigkeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft, der Gerichte und des Strafvollzugs zum Gegenstand empirischer Forschung. Gerne wird die Kriminologie - mit Edwin H. Sutherland und Donald Cressey(1974) - als die Disziplin beschrieben, die sich mit human- und sozialwissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden um “lawmaking, lawbreakingand the reactions to lawbreaking” bemüht. Man kann auch sagen: Kriminologie ist die wissenschaftliche Befassung mit Kriminalität als einer sozialen Tatsache, wozu auch die Untersuchung von Straftätern, die Berücksichtigung von Opfern und die Frage der Bestrafung, Behandlung, Hilfe und Wiedergutmachung gehören. Oder: Kriminologie ist die wissenschaftliche Erforschung der Entstehung, der Bekämpfung und der Verhinderung, der Prävention, von Kriminalität, wobei in letzter Zeit neben der Figur des Straftäters auch diejenige des Opfers eine wichtige Rolle spielt (Viktimologie). Eine der Fragen, die sie umtreibt, ist die nach den Wirkungen (der Effektivität und den ungewollten Nebenwirkungen) der Strafen und der Maßregeln … (Quelle: Krimpedia, http://www.kriminologie.uni-hamburg.de/wiki/index.php/Kriminologie, aufgerufen: 11.02.2017).
Auch wenn es in so manchem kritischen Auge noch Verbesserungspotential geben mag, so mag diese Homepage und die auf dieser Homepage angebotene Lektüre, als ein Anfang des Verstehens von bereits Existierendem und als Anfang von neuen Theorien und Ideen oder als Erweiterung von bereits Ähnlich-Existenten, gesehen werden. Aber alle sind eingeladen, diesen Weg gemeinsam mit dem Autor dieser Homepage bzw. mit den auf dieser Homepage angebotenen Büchern – oder alleine – noch weiter zu gehen und neue Grenzen zu finden. Möge das ignis philosphicus [13] und derlapis philosophorum [14] mit jedem von uns sein.
[1] 1225 – 07.03.1274; Dominikaner(priester), Theologe und Philosoph … had argued that there is a God-given ‚natural law‘ that is revealed by observing – through the eyes of faith – the natural tendency to do good rather than evil. Those who violate the criminal law are therefore not only criminals but also ‘sinners’ and thus crime not only harms victims but also the offender because it damages their essential ‘humanness’ or natural tendency to do good (Bernard, 1983) (Roger Hopkins Burke, An Introduction to Criminological Theory, Taylor & Francis 2011, ISBN 978-1-84392-407-4, S. 1f.).
[2] 4.11.1830 – 20.12.1911; er war Arzt und ein (biol.) Anthropologe und Polygenist (die Abstammung des Menschen / der Menschheit von unterschiedlichen Ursprüngen, was mit der Monogenie (DNS-Vergleich) wiederlegt scheint – siehe die sich bei allen / den meisten Experten durchgesetzte Theorie über den modernen Menschen: Out of Africa.
[3] 06.11.1835 -19.10.1909; er war Arzt und Kriminologe. Er war der Ansicht, dass Kriminelle sich von Nichtkriminellen unterscheiden und man dies an den physischen Anomalien erkennen kann (anthropometrische Studien).
[4] 18.11.1851 – 18.04.1934; er war Jurist und der erste Italiener, welcher sich Kriminologe nennen konnte (Vater der Kriminologie). Im Gegensatz zu Cesare Lobroso (der sein Lehrer war) vertrat er eher einen psychologisch-biologischen denn einen physiologisch-anthropologischen Standpunkt.
[5] 26.12.1847 – 09.12.1915; er war Jurist und Begründer der modernen Kriminalistik (und mit Verlaub, auch der Vorreiter der Forensik).
[6] 15.04.1858 – 15.11.1917; er war ein französischer Soziologe, Psychologe und Philosoph. Er postulierte: Es gibt keine Gesellschaft, in der keine Kriminalität existierte … Normal ist einfach die Tatsache, daß eine Kriminalität besteht, vorausgesetzt, daß sie sich im Rahmen des gegebenen Typs hält, dessen Höhe im Sinne der vorgehenden Regeln festgestellt werden kann, und ihn nicht überschreitet (Emile Durkheim, Die Regeln der soziologischen Methode, suhrkamp wissenschaft 464, Hrsg. René König, 1984, ISBN 3-518-28064-3, S. 156 f.).
[7] Er erweiterte den Ansatz der Unterschichtkriminalität (blue collar-crime) auf die Mittel- und Oberschichtkriminalität (white collar-crime). Dieser Ansatz wird in dieser Arbeit durch die gold collar-crime, gold halo-crime, red collar crime und black collar-crime erweitert.
[8] Gefährlicher Raum – i.S.v. kann der Raum für Kriminalität verantwortlich sein (niedrige oder keine soziale Kontrolle in verkommenen und heruntergekommenen Stadtteilen mit verfallenen Häusern usw.; ökologischer Ansatz der Kriminologie).
[9] Man möge mir verzeihen, wenn ich nicht alle Vertreter der Kriminologie aufzähle.
[10] Eine mögliche Form der Einteilung wäre (siehe z.B. Roger Hopkins Burke, 2009: 1: the rational actor model of crime and criminal behavior; 2: the predestined actor model of crime and criminal; 3: the victimized actor model of crime and criminal; 4: integrated theories of crime and criminal behavior; 5: crime and criminal behaviour in the age of moral uncertainty. Oder siehe Beispiel Daniela Klimke / Aldo Legnaro (Kriminologische Grundlagentexte, Springer, 2016, ISBN 978-3-658-06503-4): Zur Einführung / Die sozialen Funktionen der Kriminalität / Die gesellschaftliche Herstellung sozialer Probleme / Die Etikettierung zum Abweichler / Ökonomie von Kriminalität und Strafe / Sozialstruktur und Kriminalität / Erweiterte Verbrechensdimensionen / Von der Disziplinar- zur Kontrollgesellschaft.
[11] Altersabhängige Kriminalität (individuell unterschiedliche Delinquenzsetzung; Delinquenzvariationen im Lebensverlauf; Delinquenzqualität und -quantität im Zeitablauf oder in der Stratifikation der Gesellschaft; Delinquenzzuschreibungstheorien und –prozesse usf.).
[12] Wie z.B.: Ein Kilometer ist eine Entfernung, für dessen Zurücklegung ein Auto mit den Maßen und dem Gewicht x, mit einem Verbrennungsmotor mit y PS, aus dem Stand, mit einer Beschleunigung von z, auf ebener Asphaltstraße und bei Windstille, u Sekunden braucht; es geht nicht, zu sagen: ein Kilometer ist eintausend Meter, ist hunderttausend Zentimeter, denn diese Aussagen sind schon im Wort Kilometer enthalten und würden nichts Neues aussagen.
[13] Feuer der Weisheit.
[14] Stein der Weisen.